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Rede des Stadtverordneten Bernd Heyl zu den Drucksachen 540 - 543 "Alzeyer Straße" (Stadtverordnetenversammlung am 22.9.05)
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
In der vergangenen Woche konnten Sie in einer Rüsselsheimer Tageszeitung die Überschrift lesen: Geschäftesterben geht weiter". Der folgende Artikel zeigte noch einmal, wie prekär die Lage für viele Ladeninhaber in der Innenstadt ist. Für uns Stadtverordnete kann dies meines Erachtens nur ein weiteres Signal sein, alle Planungsvorhaben zur Ansiedelung von neuem Gewerbe und insbesondere die Ausweisung neuer Geschäftsflächen sehr genau zu prüfen. Wir müssen unsere Entscheidungen im Sinne einer allen Interessen gerecht werdenden Stadt- und Regionalentwicklung treffen.
Die heute zu beschließenden Vorlagen zur Bebauungsplanung Alzeyer Straße sind ausgesprochen umfangreich und gingen uns während der Sommerpause zu. Wenig Zeit also, genau zu lesen und zu prüfen - und der am 10. August durchgeführte Informationstermin lag mitten in der Ferienzeit, völlig unangemessen für ein derart wichtiges Vorhaben. Der bisherige Gang der Dinge kann nur in einem Sinne interpretiert werden: "Die Sache wird so durchgezogen"! Ganz in diesem Sinne agierte auch die SPD-Fraktion im Bauausschuss und verteidigte das Projekt als wäre es eine Jahrhundertchance für die Stadt. Irgendwie lässt City-West grüßen.
Und über allen Debatten zum Thema Gewerbeansiedlung schwebt das Totschlagargument: Man darf Investoren nicht vergraulen - und schon gar nicht, wenn sie im Gefolge von General Motors kommen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
wir haben als Stadtverordnete dieser Stadt die Verantwortung für eine nachhaltige Stadtentwicklung. Wir haben die Aufgabe, uns bei der Entscheidungsfindung nicht an Einzelinteressen zu orientieren, sondern das Gemeinwohl zur Richtschnur zu nehmen. Deshalb müssen wir auch den Bebauungsplan Alzeyer Straße unter genau dieser Fragestellung bewerten und deshalb müssen wir auch dafür sorgen, dass Investoren sich den demokratischen Gepflogenheiten unterordnen. Meine Damen und Herren von der SPD, was sie Wortradikal im Getöse des Bundestagswahlkampfes verkündet haben, nämlich dass die Wirtschaft den Menschen dienen muss, das sollten Sie auch vor Ort einlösen.
Mich können die zur Beschlussfassung anstehenden Vorlagen nicht überzeugen. Das vorgelegte Verträglichkeitsgutachten, geht davon aus, dass der Abzug von Kaufkraft aus der Innenstadt insgesamt bei 6,8% und für Lebensmittel bei 7,8% und somit unter der magischen Grenze von 10% liege. Wer hier nur nach diesen Zahlen geht, lässt meines Erachtens zwei wesentliche Aspekte unberücksichtigt:
- müsste in die Berechnung der durch das Einkaufszentrum in der Adam-Opel-Straße entstandene Kaufkraftverlust mit einbezogen werden und
- müsste mit bedacht werden, dass für kleine Einzelhändler, die am Rande der Existenz kalkulieren, auch ein viel geringerer Kaufkraftverlust als 10% das Aus bedeuten kann.
Herr Baudezernent Layer konnte im Bau- und Umweltausschuss keine Angaben darüber machen, welche Auswirkungen die Eröffnung des Einkaufszentrums in der Adam-Opel-Straße auf die Situation der Innenstadt, des Dicken Buschs und Königstädtens bereits heute hat, - natürlich, es liegen nach so kurzer Zeit ja noch keine Zahlen vor. Dürfen wir aber deshalb schon davon ausgehen, dass alles gut gehen wird? Ich meine, dieses Herangehen ist verantwortungslos.
Für die Liste Solidarität kommt zu den von den Rüsselsheimer Gewerbetreibenden zu erwartenden Auswirkungen des Baus eines Kaufland-Supermarktes - der ja in seinem Nonfood-Sortiment auch Drogeriewaren, Bekleidung, Schuhe, Uhren/Schmuck Haushaltswaren, Elektrowaren, Bücher- und Schreibwaren sowie Spielwaren anbieten kann - noch ein weiterer negativer Aspekt hinzu: Der, wie ich mit Nachdruck feststellen möchte, ruinöse Wettbewerb unter den Supermarktketten wird vor allem auf Kosten der Lebensmittelproduzenten, der Bauern in Deutschland und in den Ländern des Südens, und auf Kosten der Beschäftigten geführt. Wenn die großen Discounter mit Billigangeboten locken, dann bezahlen das die Beschäftigten durch unbezahlte Überstunden, systematisches Missachten von Arbeitnehmerrechten, Willkür von Vorgesetzten und Einkommen, die nicht zum Leben reichen. Insbesondere LIDL aber auch ALDI sind hier die herausragenden Negativbeispiele, die nicht ohne Grund gerade in dieser Woche öffentlich am Pranger stehen.
Dass die Sozialdemokraten, die gerade noch vor der Bundestagswahl versucht haben, sich wieder als kapitalismuskritisch zu profilieren und Grüne, die ja bekanntlich für eine ökologische Kreislaufwirtschaft streiten, diesem von Opel gewünschten Projekt unterwürfig und unkritisch ihre Zustimmung geben, ist für die Liste Solidarität nicht nachvollziehbar.
Meine Damen und Herren,
die Stadtverordnetenversammlung beschließt als Souverän über die Stadtentwicklung und in diesem Fall über den Bebauungs- und Flächennutzungsplan. In der Alzeyer Straße standen Wohnhäuser und eine Wohnbebauung ist die sinnvolle zum Ausweisen von Gewerbeflächen, insbesondere dann, wenn dort statt dessen vor allem Einkaufsmöglichkeiten geschaffen werden. Selbst der Gutachter stellte im Bau- und Umweltausschuss fest, dass die insgesamt in der Stadt vorhandene Kaufkraft auf absehbare Zeit nicht steigen wird. Die sich daraus zwingend ergebende Verschärfung des ruinösen Wettbewerbes insbesondere in der Lebensmittelbranche ist also integraler Bestandteil dieser Planungen, die Großen werden die Kleinen schlucken! Wäre da Wohnbebauung nicht wirklich sinnvoller? Sie würde nicht nur mehr Kaufkraft und mehr Einkommenssteuer nach Rüsselsheim bringen, sie würde auch weniger Lärmbelastung durch Verkehr bedeuten und für die Böllenseesiedlung eine Aufwertung, die dieser Stadtteil, seine im Stadtteil gelegenen Einkaufsmöglichkeiten und nicht zuletzt die Schillerschule gut gebrauchen könnten. Ich fordere daher den Magistrat auf, die vorliegenden Beschlussvorlagen zur Alzeyer Straße zurückzuziehen und mit der Adam Opel AG bzw. den Investoren in dem von mir skizzierten Sinne neu zu verhandeln.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
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