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1.7.2004
Haushaltskonsolidierung
und Rebenichabwahl
Redebeitrag von Bernd Heyl in der Stadtverordnetenversammlung
am 1.7.04
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
die heute hier zur Verabschiedung anstehende Vorlage
zur Haushaltskonsolidierung wurde im Vorfeld mit großen
Lorbeeren bedacht. Sie sei ein wichtiger Schritt zur Haushaltskonsolidierung
und sie habe in ihrem Entstehungsprozess zu einem neuen Geist
des Konsenses und der Kooperation geführt, dem sich nur einer
verweigere.
Gemessen an den vollmundigen Ankündigungen
der Nachweihnachtszeit ist das nun vorliegende Ergebnis aber eher
bescheiden ausgefallen. Wer erwartet hat, einen genauen Einsparplan
vorgelegt zu bekommen, der wurde enttäuscht. Wir haben es
stattdessen mit einem Katalog von Zielen zu tun, deren Erreichbarkeit
in vielen Fällen mehr als fragwürdig ist:
- Wird es möglich sein städtische Grundstücke,
mit die letzten Rücklagen unserer Stadt, zu den angesetzten
Preisen zu verkaufen?
- Wie soll die VHS das ihr gesetzte Einsparziel erreichen wenn
Bund und Land gleichermaßen daran arbeiten, die Weiterbildung
zu privatisieren und die Volkshochschule als Anbieter in eklatanter
Weise benachteiligt ist?
- Ist eine Reduzierung im Jugendhilfebudget realistisch, wenn
doch Erziehungsberatung abgebaut wird, die Bedingungen an den
Schulen sich deutlich verschlechtern und demnächst womöglich
erhöhte Kindertagesstättengebühren zu einem Rückgang
des Kitabesuches führen?
- Ist es realistisch bei den Bädern durch erhöhte Eintritte
Einnahmeverbesserungen erzielen zu wollen, wenn diese Maßnahme
unter Umständen zu einem Rückgang der Besucherzahlen
führt?
Die Liste der Fragen ließe sich fortsetzen.
Und wie auch bei den vorangegangenen Konsolidierungsdebatten wird
auch heute der Hebel an der falschen Stelle angesetzt. Auch wenn
heute immer mehr Stadtverordnete und der OB anerkennen, dass der
Haushalt durch Sparen bei den Ausgaben nicht konsolidiert werden
kann, so richtet sich doch das praktische Tun fast ausschließlich
auf Aufgabenkürzungen; wenn Einnahmeverbesserungen angedacht
werden, dann sollen sie durch Gebührenerhöhungen erzielt
werden.
Auf dieser Linie liegen auch die grundsätzlichen
Stellungnahmen des RP zu den Haushalten der Stadt. Gefordert werden
die Beschränkung auf sogenannte Kernaufgaben, die Reduzierung
der Personalkosten, die Beseitigung von Mehrfachangeboten, mehr
Wettbewerb und die Zuschussreduzierung für Vereine und freie
Träger. All dies ist seit dem ersten Konsolidierungsprogramm
bekannt, es kommt wirklich nichts Neues, es wird aber immer weiter
an der Abbauschraube gedreht.
Doch dort wo Bund, Land und Stadt sich zurückziehen
werden die Bürger mit steigenden Preisen privater Anbieter
belastet, wenn nicht Dienstleistungen ganz verschwinden, wie etwa
bei Post und Bahn. Roland Kochs hessischer Kahlschlag gefährdet
massiv die soziale Infrastruktur in unserer Stadt und unserem
Landkreis. Wenn jetzt auch der Kreis und die Stadt Rüsselsheim
- wie vom RP gefordert - Zuschüsse reduzieren, dann wird
das für viele Träger, die sich gerade noch so halten,
das endgültige Aus bedeuten. Und hier stellt sich wirklich
die Frage der Verantwortung. Wenn ich die Haushaltskonsolidierung
nach neoliberalen Rezepten ablehne, dann wird mir oft entgegengehalten,
dies sei verantwortungslos. Doch was ist heute verantwortliches
Handeln?
- Ist es verantwortbar, dass Erziehungsberatung
verringert und die Beratungsstellen für Migranten geschlossen
werden?
- Ist es verantwortbar, die Kitagebühren weiter zu erhöhen,
obwohl Deutschland im internationalen Vergleich bei der vorschulischen
Erziehung weit abgeschlagen ist und alle auf diesem Gebiet kompetenten
Menschen wissen, dass Kitas eigentlich wie Schulen kostenfrei
sein müssten?
- Ist es verantwortbar durch Um- und Ausgründungen Personalkosten
zu senken, indem günstigere Tarifbereiche gesucht werden,
also das Gesamteinkommen der arbeitenden Menschen weiter geschwächt
wird?
- Ist es verantwortbar durch eine deutliche Reduzierung des Busangebotes
immer mehr Menschen zu bewegen, mit dem Auto zu fahren?
Auch diese Liste könnte lange fortgesetzt werden.
Sie macht aber eines deutlich, alle diejenigen, die Verantwortung
rein betriebswirtschaftlich definieren, machen es sich verdammt
einfach und dichten sich selbst ab, gegen die Sorgen und Nöte
der Menschen, gegen das Leben, das nicht käuflich ist, kein
Standortfaktor sein will und einfach eine humane und soziale Politik
fordert.
Wenn gesagt wird, man kann auf Dauer nicht mehr
ausgeben als man einnimmt, dann ist das eine schlichte Wahrheit.
Doch wer sagt, dass die Ausgaben zu hoch sind? Selbst Oberbürgermeister
Gieltowski verweist in seiner Antwort an den RP auf wegbrechende
und durch Sparmaßnahmen nicht hereinzuholende Einnahmen.
Der ver.di Vorsitzende Bsirske hat es mit aller Deutlichkeit gesagt:
Die neoliberale Politik von Gerhard Schröder ist gescheitert.
Das Finanzdesaster der Kommunen ist Teil dieses Scheiterns, steuerpolitisch
und sozialpolitisch. Und wer sagt überhaupt, dass all die
Sparmaßnahmen am Ende uns alle nicht viel teurer kommen?
Ich denke da nur an die oft sprunghaft steigenden Jugendhilfeausgaben.
Die betriebswirtschaftliche "Denke" ignoriert die Ökonomie
des ganzen Hauses und wenn sie ungebremst weiter schalten und
walten kann wie sie will, dann wird das unser aller Lebensqualität
auf vielen Ebenen dramatisch verschlechtern.
Immer mehr Menschen fangen an zu begreifen, dass
der eingeschlagene Weg, der von Schröder, Clement, Merz und
Merkel letztlich in großer Eintracht betriebene Paradigmenwechsel,
falsch ist. Fast überall in Europa wurden Regierungen, die
einen neoliberalen Kurs eingeschlagen haben, bei den Europawahlen
abgestraft. Sozialdemokratische ebenso wie Konservative. Das Interesse
an Politik schwindet und der SPD laufen in Deutschland die Wählerinnen
und Wähler in Scharen davon und vor ein paar Tagen vermeldeten
die Medien, dass sich im Ruhrgebiet im Umfeld aktiver Gewerkschafterinnen
und Gewerkschafter zahlreiche kommunale Wahlinitiativen gebildet
haben. Die Akzeptanz für den nur dürftig als Umbau getarnten
Abbau des Sozialstaates schwindet.
Erlauben Sie mir genau hier und in diesem Zusammenhang
die nachher anstehende Abwahl von Bürgermeister Rebenich
kurz anzusprechen. Dieses Ereignis könnte so etwas wie eine
Zäsur werden. Einschneidende Ereignisse haben in der Regel
einen Anlass und tieferliegende Gründe. Der Anlass ist klar:
Der Beratervertrag mit Herrn Jobst passt nicht in die haushaltspolitische
Landschaft, vordergründig reicht das. Doch wäre dieser
Vertrag, noch dazu offensichtlich korrekt verbucht, normalerweise
Grund genug für eine Abwahl? Wohl kaum. Werner Rebenich hatte
zeitlebens das Bestreben zur Avantgarde zu gehören. Als junger
Mensch antiautoritär/anarchistisch und im höheren Alter
als Konvertit im bürgerlichen Lager, aber immer noch - oder
gerade als Konvertit - besonders radikal.
Als fNEP und später die Liste Rüssel versuchten,
die verkrusteten arbeiteraristokratischen Strukturen in Rüsselsheim
aufzubrechen und das Undenkbare - ein Bündnis mit der CDU
- dachten, da war noch nicht klar, wo die Reise hingeht. Neoliberalismus
war für viele noch ein Fremdwort und die, die es kannten,
hatten keinen Begriff davon. Galt die Provokation der spießbürgerlichen
Seite der Arbeiterbewegung, dem Straßekehren am Samstag
und der Gartenzwerg - Vorgartenidylle am Siedlungshäuschen,
dem röhrenden Hirsch über dem Proletariersofa oder verband
sie sich mit ganz anderen Interessen, mit den Interessen derjenigen,
die soziale Sicherheit abbauen und die so gewonnenen Ressourcen
an der Börse verzocken wollten? Das alles war Mitte der neunziger
Jahre so klar noch nicht. Heute aber haben sich die Nebel der
neuen Unübsichtlichkeit gelegt. Ein flexibilisierter Arbeitsmarkt
bedeutet Armut für immer mehr Menschen und der Abbau von
Kündigungsschutz, von Herrn Rebenichs Berater Steffen Jobst
heftig gefordert, ist für allzu viele Menschen heute bitterer
Alltag. Da kommt man mit "Spaß" nicht mehr weit.
Wenn heute der Bürgermeisterberater Jobst am ersten Mai einen
Krakeel veranstaltet, dann können sich höchstens noch
Echoredakteure dafür begeistern. Sie und ihre Clowns haben
immer noch nicht begriffen, dass Sozialabbau eine Alltagsrealität
geworden ist und die Menschen, ob in Rüsselsheim oder anderswo
anfangen zu ahnen, wo das viele Geld, dass es im Lande gibt, steckt.
Und diese Ahnung reicht, um Haushaltskonsolidierungen und blaue
Briefe vom RP nicht sonderlich ernst zu nehmen. Die Zeit für
Spaßaktionen und avantgardistische Polithappenings neoliberaler
coleur ist längst vorbei. Und für die, die das Alltagsgeschäft
des Sozialabbaus zu schultern haben, beginnt diese Richtung zum
Problem zu werden. Das offensive Einfordern der Schließung
der Eichgrundschule als Beitrag zur Haushaltskonsolidierung, das
Brandmarken der Gewerkschaften im Hause als Bremser, das notwendige
Folgen des Abbaus aller kommunikativen Brücken sind Ergebnis
dieser falschen Politik. Sie hat Werner Rebenich dahin gebracht,
wo er heute steht. SPD und Grüne würden gut daran tun,
innezuhalten und nachzudenken, statt vollmundig zu verkünden,
dass alles so weiter geht wie bisher. Deutschland braucht eine
andere Politik und Rüsselsheim auch. Für SPD und Grüne
war der Aktionismus der Liste Rüssel praktisch. Sie konnten
sich hinter deren radikal neoliberaler Attitüde bequem ducken,
Werner Rebenich und die Seinen preschten vor, holten sich die
Blessuren und andere standen dann für den Kompromiss.
Heute, wo sich der Wind beginnt zu drehen,
hat diese politische Konstruktion ausgedient. Selbst durch noch
so kreative Events lässt sich die falsche Richtung des Zuges
nicht mehr vertuschen und auch der Konsens im IFA, der IFA-Geist,
kann über die real dürftigen Ergebnisse nicht hinwegtäuschen.
SPD und Grüne müssen auf die Menschen zugehen. Sie glauben
ein Vermittlungsproblem zu haben was kann Werner Rebenich da noch
helfen?
Ich werde für die Abwahl von Werner Rebenich stimmen, weil
ich seine Politik falsch finde und ich werde gegen die Drucksache
380 stimmen, weil sie in vielen Bereichen die Menschen im Unklaren
belässt, was auf sie zukommt und weil sie die falsche Politik
des Sozialabbaus fortsetzt.
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