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Redebeitrag des Stadtverordneten
Bernd Heyl zum Haushalt 2005 (16.12.2004)
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
Haushaltsdebatten und Haushaltsreden gehören zu den regelmäßig
wiederkehrenden Ritualen paralamentarischer Arbeit. Immer wieder - und
in diesem Jahr verschärft - stellt sich aber auch die Frage,
welche Bedeutung unsere Debatten und Auseinandersetzungen letztlich
haben. Durch die radikale Arbeitsplatzvernichtung bei Opel ist
Rüsselsheim einmal mehr von den Auswirkungen der Globalisierung
betroffen und es schlägt die Stunde all derer, die dies
als unabänderbares Schicksal darstellen. Dass der Weltmarkt
nicht mehr reguliert werden soll, weder handels- noch sozialpolitisch,
dass global die sozialen Strukturen auf das Niveau des Frühkapitalismus
heruntergefahren werden, ist aber kein Naturgesetz. Diese Politik
wurde in internationalen Gremien und Abkommen, von der Weltbank über
die WTO hin zu GATTS und dem "Konsens von Washington" so verabredet.
Hier gab es von der deutschen Regierung, wer auch immer sie stellte,
nie grundsätzlichen Widerspruch und ähnlich fatal wird
sich die jetzt vorliegende EU-Verfassung auswirken, die ja bekanntlich
das Recht auf freien Waren- und Dienstleistungsverkehr hoch über
den sozialen Interessen der Menschen ansiedelt.
Die rotgrüne Bundesregierung erhielt jetzt durch den vorzeitig
bekanntgewordenen Armutsbericht die Quittung für ihre Politik
der ausbleibenden sozialpolitischen Wende. Lebten bei ihrem Dienstantritt
1998 - ein Erbe der Kohl-Regierung - bereits 12,1% der Bevölkerung
Deutschlands in Armut, so waren es 5 Jahre später 13,5%.
Doch ebenso wie die Verarmung vieler Kommunen und die Geldknappheit
der öffentlichen Haushalte ist die private Armut nicht Ausdruck
einer grundsätzlichen Verarmung in Deutschland. In den immer
wieder so betitelten Zeiten knapper Kassen wuchsen nach Angaben
des Spiegel die Nettovermögen aller privaten Haushalte von
4280 Milliarden Euro 1998 auf 5000 Milliarden Euro 2003. Deutschland
wird also einerseits immer reicher, während andererseits
die Verteilungsgerechtigkeit auf allen Ebenen abnimmt. Und in
diesem Prozess spielt die gezielte und politisch durch immer
neue Steuerentlastungen für Unternehmen, Kapitalgesellschaften
und Reiche bewusst herbeigeführte Verarmung öffentlicher
Haushalte eine entscheidende Rolle. Das Ziel ist: Für Bund
Länder und Kommunen soll die gleiche Handlungslogik gelten
wie für Privatunternehmen. Betriebswirtschaftlich sollen
Kosten - und dies sind immer und vor allem Lohnkosten - eingespart
werden, um mehr Leistung mit weniger ArbeitnehmerInnen zu erbringen.
Diese unverantwortliche Form des Wirtschaftens ignoriert nicht
nur volkswirtschaftliche Gesetze und Notwendigkeiten, sie ignoriert
vor allem auch die "Ökonomie des ganzen Hauses", all die
Lebensbereiche, die man in einer zivilen Gesellschaft keinesfalls
marktwirtschaftlich organisieren und dem gnadenlosen Wettbewerb
aussetzen darf.
Doch von solchen marktkritischen Überlegungen ist die Mehrheit
der Stadtverordnetenversammlung in Rüsselsheim weit entfernt - ganz
im Gegenteil. In den vergangenen Jahren bildete sich von CDU,
FDP, Rüssel, Grünen und SPD getragen ein Konsens heraus,
der der Wirtschaftslogik von GM und den Weisungen des Regierungspräsidenten
folgend, auf den Abbau von Arbeitsplätzen, die Senkung der
Lohnkosten durch Umgründungen und das Outsourcing durch
Privatisierung setzte.
Meine Damen und Herren, die Debatte die sie heute über
die besten und effektivsten Formen des Sparens führten ist
vordergründig. Über
den Kern der Sache haben Sie sich doch längst geeinigt,
er ist in der Drucksache zur Zukunftssicherung, in den Beschlüssen
des IFA und in dem von Ihnen gemeinsam getragenen Vorhaben, die
Stadtverwaltung auf das so genannte "Kerngeschäft" zu reduzieren,
festgehalten. Wenn im Rahmen der Haushaltsdebatte CDU, FDP und
Liste Rüssel durch Anträge zu vielen Detailfragen den
Eindruck erwecken wollen, sie hätten reale Alternativen
zu bieten, so ist dies ausschließlich dem in Vorwahlzeiten
gebotenen Profilierungsbedürfnis geschuldet. Der ganze Theaterdonner: "fünfprozentige
Haushaltssperre oder gezielte Akzente setzendes Sparen" täuscht
nur über die Einheit im Prinzip hinweg.
Diese Einheit zeigte sich zum Beispiel in
der Ablehnung des haushaltsbegleitenden Antrages der Liste
Solidarität, einen
Armutsbericht für die Stadt Rüsselsheim zu erstellen.
Warum sind Sie sich in dieser Frage so einig? Die möglichen
Kosten für eine schonungslos ehrliche Bestandsaufnahme der
sozialen Lage in der Stadt, einer ehrlichen Bilanzierung des
Abbaus sozialer Beratungs- und Hilfeangebote und der weiteren
Zunahme sozial Bedürftiger durch die Hartzgesetzgebung dürften
einen Bruchteil der Kosten der neuen Terasse der Opel-Villen
kaum übersteigen. Die Kosten sind nicht das Motiv für
ihre Ablehnung. Ein lokaler Armutsbericht würde aber auf
kommunaler Ebene konkretisieren, was jetzt auf Bundesebene deutlich
wurde: Weder die Politik von rotgrün noch die von schwarzgelb
zielt heute ernsthaft darauf ab, die sozialen Gegensätze
in unserer Gesellschaft abzubauen und die Stadt Rüsselsheim
bildet hier keine Ausnahme.
Deshalb sind Sie sich in der Sache ja auch
einig, wenn es um Privatisierungen geht. Der Vorschlag der
Liste Rüssel das
Jugendhaus Dicker Busch an einen freien Träger zu übergeben,
wurde von allen Fraktionen zustimmend zur Kenntnis genommen.
Herr Vogt fasste sein Plädoyer für diesen Schritt mit
den Worten zusammen "Privat ist einfach besser". Wie wenig dieses
rein ideologische Statement der Wirklichkeit stand hält,
zeigt aber nicht nur die Krise der privatwirtschaftlich geführten
Firma Opel. Wer weitere Belege dafür braucht, dass "privat" eben
nicht immer besser ist, der möge sich die Schlange im Rüsselsheimer
Postamt ansehen, das durch den neuen Fahrplan reduzierte Angebot
der Bahn oder auch den Verlust von 10 Arbeitsplätzen bei
der Rüsselsheimer Volkshochschule durch die Vergabe von
Maßnahmen der Bundesagentur für Arbeit an sogenannte
freie Träger. In allen angesprochenen Fällen regiert
betriebswirtschaftliches Denken die Sparlogik, werden Arbeitnehmer
entlassen, Arbeitszeiten verlängert, Löhne gesenkt,
Gratifikationen gekürzt und gestrichen. Auch der Haushalt
2005 folgt dieser Logik und wie sozialverträglich das Personal
bei Opel oder der Stadt Rüsselsheim auch abgebaut werden
mag, am Ende stehen ein Weniger an Arbeitsplätzen in der
Region und niedrigere Löhne für die, die noch Arbeit
haben.
Vor diesem Hintergrund ist es geradezu zynisch,
wenn Bundeskanzler Schröder die Menschen zum massiven Einkaufen vor Weihnachten
auffordert. Auch hier enthüllt der Armutsbericht die wirkliche
Problematik: Die Zahl der überschuldeten Haushalte stieg
in Deutschland von 2,77 Millionen im Jahr 1999 auf 3,13 Millionen
im Jahr 2002 - Tendenz steigend. Gleichzeitig wuchs der Anteil
der oberen 10% aller Haushalte am privaten Nettovermögen
auf 47%. Von diesen geht aber niemand in der Rüsselsheimer
Fußgängerzone einkaufen. Die an der betriebswirtschaftlichen
Denke orientierte Sparpolitik der Stadt jedoch schwächt
die Kaufkraft der Rüsselsheimer, sie reduziert das Dienstleistungsangebot
der Stadt und sie sorgt für immer wieder neue Unsicherheit
bei den Beschäftigten. Diese Politik setzt in einer Zeit
des Sozial- und Arbeitsplatzabbaus die falschen Signale. Der
Haushalt 2005 kann daher ebensowenig wie die IFA-Beschlüsse
meine Zustimmung finden.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
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